Birdrace – Ein Tag auf Artenjagd

Seit vielen Jahren veranstaltet der DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) am ersten Samstag im Mai das „Birdrace“, zu Deutsch „Vogelrennen“. Doch beim Birdrace rennen nicht die Vögel, sondern die Beobachterinnen und Beobachter. Ziel ist es, innerhalb von 24 Stunden als Team, bestehend aus zwei bis fünf Mitgliedern, möglichst viele Vogelarten zu beobachten. Damit soll unter anderem in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, dass Artenvielfalt nicht nur in fremden Ländern erlebt werden kann, sondern auch bei uns vor der Haustür.

Naturwacht-Ehrenamtler und NABU-Mitglied Stefan Jansen berichtet von den diesjährigen Erlebnissen und Ergebnissen am 4. Mai 2024.

1:50 Uhr – Der Wecker klingelt. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ist das Motto, und so stehe ich zu einer Zeit auf, zu der ich manchmal erst ins Bett gehe. Unser Team startet „Öko“, das heißt, wir verzichten aufs Auto. Nach einer Tasse Tee packe ich die Taschen aufs E-Bike und fahre in Hinzdorf los. An der Elbe singt im Dunkeln ein Drosselrohrsänger, eine Graugans ruft, im Wäldchen singt die Nachtigall – die ersten Arten sind abgehakt!

2:50 Uhr – In Wittenberge treffe ich Luise Przibilla, die bei der Naturwacht Rühstädt arbeitet. Am Stern singt ein Hausrotschwanz im Laternenlicht – Art Nr. 4. Gemeinsam radeln wir weiter nach Nausdorf am Rambower Moor. Kurz vor dem Ort singen Heidelerche und Feldlerche im Dunkeln.

4:30 Uhr – Wir kommen in Nausdorf bei Familie Hastedt (Ulrike, Jan und Arne) an. Unser Team namens „Federführend“ ist komplett! Arne ist schon wieder zurück von einer kurzen nächtlichen Tour an die Deich-Rückverlegung und hat Bekassine, Wasserralle und Waldohreule auf die Liste gebracht. Wir radeln gemeinsam los.

4:50 Uhr – Wir erreichen den Boberower Beobachtungsturm am Rambower Moor. Es dämmert langsam und im angrenzenden Wald beginnt das Vogelkonzert. Unsere Liste füllt sich mit vielen häufigen Singvogelarten. Ein später Waldkauz lässt sich noch hören. Im Schilf singen Feld- und Rohrschwirl, Schilfrohrsänger und Teichrohrsänger, den wir erst mit angestrengtem Lauschen heraushören. Das ist schon mal ein Wackelkandidat, den wir da erwischt haben! Er gehört zu den spät heimkehrenden Zugvögeln, so dass die Beobachtung so früh im Mai nicht selbstverständlich ist.

Im Vorjahr war es beim Birdrace kalt und regnerisch, dieses Jahr haben wir mehr Glück mit dem Wetter. Dafür fressen uns heute die Gnitzen fast auf. Ohne Insektenschutz ist es nicht auszuhalten.

Noch im Halbdunkel fliegt direkt vor dem Turm ein Falke vorbei. Von der Silhouette her ist es eindeutig kein Turmfalke, aber ist es ein Wanderfalke oder ein Baumfalke? Die Beobachtung ist zu kurz, das Häkchen auf der Liste müssen wir uns verkneifen. Im erst allmählich besser werdenden Licht erkennen wir am Rambower See zunächst Höckerschwan, später auch Stock-, Schnatter- und Löffelenten sowie einen Rotschenkel. Die anderen weisen mich auf ein singendes Sommergoldhähnchen hin. Ich habe altersbedingt allmählich Probleme, die Goldhähnchen noch zu hören. Meine persönlichen Wackelkandidaten!

6:00 Uhr – Wir fahren über Boberow langsam weiter zum Rudower See. Unterwegs halten wir immer wieder an, um nach neuen Arten zu horchen und zu gucken. Die Kombination aus Laub- und Nadelwäldern, Gebüschen und Grünland ist ideal, um verschiedenste Arten zu erwischen. Es klappt, unsere Liste füllt sich und wir sind schon bei über 70 Arten. Auch ein Neuntöter ist schon zu sehen, meist kehrt er erst später aus dem Winterquartier nach Deutschland zurück. Auf der Weiterfahrt halten wir an einer Stelle, wo Ulrike in den Tagen vorher Schwanzmeisen gesehen hat. Wir haben Glück, das Paar lässt sich wieder sehen! Manche eigentlich häufige Art ist zur Brutzeit im Mai recht heimlich, die Schwanzmeise gehört dazu. Da ist es gut, wenn man die Stellen genau kennt, wo sie aktuell vorkommen.

9:30 Uhr – Frühstückspause auf dem Steg am Campingplatz am Rudower See. Haubentaucher, ein Flussuferläufer und ein Waldwasserläufer landen auf der Beobachtungsliste.

12 Uhr – Wir radeln durch Lenzen. Nun stehen die Arten der Siedlungen auf dem Programm. Hänfling, Mehlschwalbe, Mauersegler und Weißstorch enttäuschen uns nicht.

In den Gebüschen am Hafen Lenzen lauern wir ein Weilchen, dann lässt die erwartete Sperbergrasmücke ein paar Strophen hören und zeigt sich in einem kurzen Singflug. Wir besuchen das Café Eisvogel am Hafen für wahlweise Kaffee oder Eis. Die Betreiber fragen interessiert nach, was wir mit unserer ganzen Optik am heutigen Tag so machen. Pause ist natürlich nicht wirklich, nebenbei checken wir den ersten Feldsperling!

13 Uhr – An der Deich-Rückverlegung hören wir den ersten Fasan des Tages. Manche häufige Art ist erst nach vielen Stunden zu sehen oder zu hören. Im Deichhinterland macht ein Wiesenpieper einen Singflug – damit ist die 100. Art auf der Liste!

14 Uhr – Mittagspause am Auenblick, der Beobachtungshütte an der Deich-Rückverlegung. Wir scannen die Sandbänke am Elbufer mit dem Spektiv und sehen endlich die ersten Austernfischer und Brandgänse des Tages. Mitten in einem Möwentrupp steht ein schwarzweißer Vogel. Das ist doch – ein Säbelschnäbler! Der ist nun völlig unerwartet und eindeutig das Highlight des Tages. Gleich darauf fliegt ein Schwarzstorch ganz nah und im besten Licht vorbei. Ein Blaukehlchen singt im Schilf am Elbufer und lässt sich wunderbar auf einem Halm sitzend beobachten. Der Stopp hat sich eindeutig gelohnt!

15:00 Uhr – Wir radeln auf dem Elbdeich langsam weiter Richtung Osten. Bei Bernheide singen zwei Ortolane. Ich hatte sie schon am Vortag hier gehört, daher haben wir die Stelle angefahren. Sonst sind Ortolane im elbnahen Raum nur selten zu beobachten, anders als im Prignitzer Hinterland. Und im Ort hören wir den ersten Girlitz des Tages.

17:05 Uhr – Gadow. An der Löcknitz fliegt eine Gebirgsstelze, eine der Arten, für die wir nach Gadow gefahren sind! An den Gewässern im Forst Gadow hören wir außerdem Teichhuhn und Eisvogel. Ein Mittelspecht lässt sich nicht hören oder sehen, obwohl hier in den Eichenwäldern mehrere Reviere bekannt sind. Nun trennen wir uns. Die Hastedts fahren zurück nach Nausdorf, Luise und ich Richtung Wittenberge.

17:45 Uhr – Am Cumloser See. Auf den letzten Kilometern merke ich allmählich die Müdigkeit und hänge etwas durch. Aber am See angekommen, wecken gleich mehrere neue Arten meine Geister wieder: Eine Beutelmeise ruft im Ufergebüsch. Auf dem See schwimmt ein Tafelenten-Männchen, und nahe bei uns schwimmt am Ufer ein Schellenten-Weibchen mit sieben kleinen Jungen, die alle eifrig tauchen.

19:50 Uhr – Hafen Wittenberge. In den Spundwänden brüten Uferschwalben, so kriegen wir auch diese Art auf die Liste. An einer Großmöwe rätseln wir eine Weile herum, bis wir uns auf Steppenmöwe einigen. Luise fährt nun für eine Abendpause nach Hause, ich radele Richtung Hinzdorf. Am Zellwolleteich finde ich zwei Zwergtaucher, die fehlten heute auch noch. Nächstes Jahr fällt dieser Beobachtungspunkt leider weg, denn der Teich wird für einen unsinnigen Containerstellplatz verfüllt.

21:30 Uhr – In der Dämmerung treffen Luise und ich uns nochmal am Ortsrand von Hinzdorf. Im Pumphäuschen brütet die Schleiereule, und tatsächlich lässt sie sich kurz hören! Das ist die letzte Beobachtung für die Liste. Über SMS erfahre ich von Arne, dass die Hastedts irgendwo noch eine Heckenbraunelle und eine Misteldrossel aufgetrieben haben.

22:30 Uhr – Nach über 20 Stunden Beobachtung und mehr als 100 km Radfahren falle ich ins Bett und schlafe tief und traumlos.

Fazit

Am Ende des Tages landen wir als Team bei 132 Arten. Darunter sind einige unerwartete wie der Säbelschnäbler. Es fehlen jedoch auch einige, von denen man meint, dass sie eigentlich leicht zu beobachten sind. Habicht, Sperber, Kleinspecht, Raubwürger, Wacholderdrossel und Gimpel haben sich heute jedoch nicht blicken lassen. Für weitere Ziele reichte die Zeit (und die Kraft) nicht. In Pröttlin hätten wir noch Aussichten auf die Haubenlerche gehabt, oder an den Plattenburger Teichen auf weitere Wasservogelarten oder Bartmeisen.

Mit unseren 132 Arten liegen wir unter den deutschlandweit 942 (!) gestarteten Teams auf Platz 108, nicht schlecht. Gegen Teams, die an Nordsee oder Ostsee oder in großen Teichgebieten beobachten können, haben wir keine Chance, uns fehlen einfach zu viele Wasservögel wie weitere Enten, Watvögel, Möwen oder Seeschwalben. Unter den reinen Radelteams sieht es schon besser aus, Platz 52. Unter den Brandenburger Landkreis-Teams liegen wir auf Platz 7.

Daneben gibt es noch eine Singvogelwertung. Da sind wir richtig gut mit unseren 74 Arten! Das ist Platz 3 unter allen Teams in Deutschland, die wie wir nur in einem Landkreis beobachtet haben. Das beste Team hatte 76 Arten - da ist Platz 1 doch ein Ziel fürs nächste Jahr! Dann aber mit Gimpel …

Birdrace macht süchtig! Für 2025 haben wir uns schon verabredet …

Dieser Beitrag erschien in etwas anderer Fassung auch im Mitteilungsblatt „DER SPERLING“ des NABU-Regionalverbands Prignitz.

Gebiet

  • Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe

Meldung vom 08.05.2024