Bunte Wiesen und Wilde Nächte - Auf Ökofilmtour mit der Naturwacht

Wer Anfang März einen Blick in den Saal des Perleberger Freizeitzentrums „Effi“ wirft, staunt nicht schlecht. Da springen muntere Erstklässler wie Heuschrecken vom Blatt, schleichen wie ein Fuchs auf Beutefang und schreiten wie Störche durch eine Wiese. Zuvor haben sie mit lebendigem Fußgetrappel Regenwürmer aus dem Boden gelockt. So machen es schließlich auch Vögel, die mit langen Schnäbeln nach Nahrung stochern. Woher die Kinder das wissen? Aus dem Dokumentarfilm „Die Wiese“, den sie kurz zuvor gemeinsam gesehen haben. Anfang März machte die Ökofilmtour in der Prignitz Station. Die Filmfestspiele der etwas anderen Art. Ohne roten Teppich, aber mit viel Grün. Gedanken anregend, Reflektion erwünscht.

Löwenzahnmonotonie oder Farbenvielfalt?

Brachvogel, Feldlerche und Kiebitz machen sich rar auf unseren Wiesen und die meisten der 33 Kinokinder sehen die Vögel an diesem Vormittag zum ersten Mal. Umso eindrucksvoller, dass ihnen die Rangerinnen Marion Schlede und Ricarda Rath das Präparat eines Kiebitzes mitgebracht haben. Wie ein Exot wird der taubengroße Vogel bestaunt, schillernd grün, mit putziger Federtolle. Als die beiden Frauen mit den Kindern über die verschiedenen Brutplätze von Vögeln reden, wird schnell klar, dass Bodenbrüter besonders gefährdet sind. Bedroht durch Maschinen die düngen und mähen, aber auch durch Räuber wie den Fuchs, der sich nicht nur die Gans, sondern auch Kiebitzküken holt. Große Traktoren können Gelege ungewollt überfahren, weil die flachen Nester kaum zu sehen sind. Die traurigen Gesichter hellen sich schnell wieder auf, als wir ihnen vom Wiesenbrüterschutzprojekt erzählen. Für die Umzäunung von Kiebitznestern stellen Bauern gern einen kleinen Teil ihrer Flächen zur Verfügung. Meist brüten die Wiesenvögel auf Ackerflächen, die Produktion von Feldfrüchten ist für die Landwirte wirtschaftlicher.

Und waren die Grundschüler*innen eben noch überzeugt, dass Düngung immer etwas Gutes ist, blicken wir nun in fragende Gesichter. Ein Zuviel an Gülle zerstört aktives Bodenleben. Das der Regenwürmer zum Beispiel. Eine wichtige Nahrungsquelle der Vögel und zudem so nützlich. Warum? Das wissen viele der Siebtklässler, die den Film an diesem Vormittag als zweite Gruppe sehen. Sie durchmischen den Boden, verarbeiten abgestorbenes Pflanzenmaterial und belüften das Erdreich. Anschaulich wird das mit einem Regenwurmschaukasten, in dem große Tauwürmer ihre Arbeit tun. Und noch etwas bringt die intensive Gülledüngung hervor. Monotone Fettwiesen, Viehweiden, auf denen nichts als Löwenzahn wächst. Bunte Blumenwiesen aus einem Meer an Farben, Formen und Düften, in denen sich Hummeln tummeln, Bienen summen, Käfer brummen und Schmetterlinge gaukeln, sucht man hier vergebens. Ob den Kindern das schon einmal aufgefallen ist, möchte ich wissen, kaum - und die leuchtend gelben Wiesen finden sie toll. Das hier allein die Butterblume herrscht, darüber haben sie noch gar nicht nachgedacht. In bunten Wiesen wimmelt es nur so vor Leben, vom Erdgeschoss bis in den Himmel, alle Etagen sind bewohnt. Große und kleine, dicke und dünne Pflanzen, die nicht zu dicht wachsen, lassen Luft und geben einer Vielzahl an Tieren Raum. Meist sind es kleine, Futter für Kiebitz und Co. Und ja, auch bunte Wiesen werden gemäht, nur so kann man ihre Vielfalt erhalten. Aber etwas später im Jahr, wenn die Samen gereift und die Vogelkinder flügge sind.

Lautlose Jäger, helles Licht und süße Düfte

Und was geht in der Nacht auf unserer Wiese vor? Das erfahren Kinder einer vierten Klasse, die sich am Mittwoch den Film „Wilde Nächte – wenn Tiere erwachen“ anschauen. Der Mensch bestimmt den Tag und viele Tiere werden erst munter, wenn wir uns zur Ruhe begeben. Eulen sehen in der Nacht viel besser als wir, hören exzellent und fliegen lautlos. Nicht ein Geräusch verrät ihren Beuteflug. Pech für die Maus, die sich im Schutze der Dunkelheit aus dem Wiesenloch traut und nicht überschaut, dass auf einem Zaunpfahl die Schleiereule lauert. 25.000 Mäuse fängt ein Nachtjäger pro Jahr, nicht für sich allein. Die Beute wird sehnlichst erwartet, fünf kleine Schreihälse hocken in der Scheune und warten auf Futter. Direkt in unserer Nachbarschaft, fast unbemerkt. Ein Raunen geht durch den Raum, als die Rangerinnen das Geheimnis der mitgebrachten Streichholzschachtel lüften. Zum Vorschein kommt eine Zwergfledermaus, nicht größer als die Schachtel, nicht schwerer als ein Zuckerstückchen. Die Kleinste neben der Mückenfledermaus und eine, die in den Winkeln unserer Häuser wohnt. Der winzige Nachtjäger ist eines von zehn Tierpräparaten, die für Begeisterung sorgen. „Wusstet ihr, dass Stadtamseln besonders gefährdet sind?“, leiten die Rangerinnen zum nächsten Thema über. Warum das so ist, haben die Kinder im Film gesehen. „Lichtverschmutzung“ war das Schlagwort, sie erinnern sich. Weil das künstliche Licht einer Straßenlaterne auf das Amselnest scheint, kommen die Vögel nicht zur Ruhe. Die Jungen, noch nicht flügge, gehen nachts auf Übungsflug und werden leicht zur Beute. Und wozu das ganze Gehweglicht, wenn wir doch schlafen?

Auf der bunten Wiese nebenan verströmt eine Nachtkerze ihren Duft. Erst in der Dämmerung öffnet sie die Blüten und lädt Nachtinsekten an ihre Nektarbar. Marder huschen über die Straße, Waschbären poltern am Hof, Katzen jagen auf leisen Sohlen. Am nächsten Morgen ist alles wie immer, nur einige Spuren verraten die Wilden der Nacht, die sich längst wieder zur Ruhe begeben haben.

Wiesensafari und Fledermausnacht

Eine Woche lang gastierte das brandenburgische Festival des Umwelt- und Naturfilms am Spielort Perleberg. Organisiert von Jessika Muhs vom Kreisjugendring Prignitz e.V., die sich wie bewährt, kompetente Partner*innen ins Boot holte, um das Gesehene mit dem Filmpublikum anschaulich aufzuarbeiten. Das Team LANDaktiv und die Länderinnen vom Kreisbauernverband Prignitz e.V., engagierte Förster und die Naturwacht des Biosphärenreservats. Letztere haben nicht nur neue Kontakte geknüpft, sondern lassen dem Filmerlebnis bald Praxiserfahrung folgen. Auf Fledermausexkursionen und Wiesensafaris gehen die Kinder selbst auf Tuchfühlung mit bunten Wiesen und wilden Nächten. Nur Erlebtes kann berühren, weckt Interesse, schafft Faszination und Verbindung.

Die Autorin Ricarda Rath ist Leiterin der Naturwacht im Biosphärenreservat.

 

 

 

Gebiet

  • Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe

Meldung vom 04.03.2020